Aus drei mach eins!

Wie man die Trennung von Malerei, Musik und Tanz aufhebt

Ein Bild ohne Motiv. Farben, die sich bewegen. Ist das noch real oder geht es „über die Realität hinaus“? Spielen wir gar mit Schrödingers Katze? Die Performance der Klassen 2BKSP2/1 und 2BKSP2/2 der Albert-Schweitzer-Schule in Sinsheim kokettierte mit geradezu existentiellen Fragen – und war trotzdem nie um eine mitreißende und ausdrucksstarke Antwort verlegen. Mit dieser eindrucksvollen Darbietung führte auch der diesjährige Abschlussjahrgang in der Fachschule für Sozialpädagogik die Tradition fort, die „Neulinge“ im 1BKSP an der ASS willkommen zu heißen.

Piet Mondrian, das war doch der L’Oreal-Designer, der diese schicken Muster für die Haarspraydosen und Geltuben entworfen hat. Nun ja, nicht ganz. Piet Mondrian war der Maler, der etwas völlig Neues wagen wollte, ein Bild ohne Motiv. Und dafür erfand er gewissermaßen Form und Farbe neu, gab einer schwarzen Linie oder einem blauen Rechteck eine völlig neue Bedeutung und Bildern einen völlig neuen Ausdruck: Rhythmus. Schwer zu verstehen?

Mondrian, der höchst persönlich durch die Hilfe von Franti Ristau anwesend war, versuchte in Worte zu fassen, was selbst die Museumsführerin Toska Linse mehr amüsiert als interessiert lächeln ließ. Denn ein Bild (hier „Rhythmus aus schwarzen Linien“, 1935/1942) sagt ja bekanntlich mehr als tausend Worte. Die Klasse 2BKSP2/1 fand jedoch in Bewegung und Musik einen Weg, dem begeisterten Publikum ein verstehendes „Ah!“ zu entlocken.

Behutsam führten sie die Gäste an die klar gliedernde Dynamik von Linien heran. Schwarze Stäbe ergänzten bald die Choreographie und fügten der Performance Ordnung hinzu: Der Rhythmus war etabliert. Doch fehlten noch die Mondrian-typischen Primärfarben. Rot, gelb, blau mischten sich nun bunte Quader ins Ensemble und wirkten wie ein Katalysator für den Beginn eines Crescendos in Musik und Bewegung, das nur auf eine Art enden konnte – mit einem gewaltigen Applaus nach einer Sekunde laut- und atemloser Bewunderung.

Wo Mondrian nach dem Motto „Weniger ist mehr“ mit minimalem Farbeinsatz präzise Struktur in weißer Leere schuf, verfolgte Robert Delaunay einen ganz anderen Weg: Für ihn war die Welt bunt und strahlend – und bewegt. Jan Powalla als Delaunay erläuterte an seinem Werk „Rhythmus, Lebensfreude“ (1930), warum Farbe nicht ohne Form denkbar ist und warum Farbe immer auch Bewegung ist. Das Auge kann diese drei Elemente schlicht nicht trennen, also muss die Kunst sie auch entsprechend umsetzen.

Für die Klasse 2BKSP2/1 war es deshalb ein wahres Vergnügen, „Rhythmus scheibchenweise“ zu präsentieren. In einem faszinierenden Tanz, der voll zufälligem Durcheinander schien, „rundete sich alles“: Farben, Formen und Bewegung gingen in einer komplexen Choreographie eine wundervolle Symbiose ein, deren Ergebnis seinem gemalten Vorbild an Ausdruckskraft in nichts nachstand.

„Komplex“ ist auch bei einem anderen großen Maler Programm. Wassily Kandinsky machte sich, inspiriert von der neu entwickelten Quantentheorie Marie Curies auf die Suche: Wenn da eine völlig neue und unentdeckte Welt existierte, dann brauchte es doch auch eine völlig neue Kunst, um sie zu verarbeiten. Wenn es da winzigste Teilchen gab, die jedes getrennt für sich im gemeinsamen Zusammenwirken doch die Objekte darstellten, die wir kennen, dass muss die Kunst diese Objekte auf völlig neue Weise darstellen. Die Objekte müssen in ihre Bestandteile aufgelöst werden, um sie erst richtig zu sehen.

Basierend auf dem Bild „Kleine Welten II“ entwickelte die Klasse 2BKSP2/2 eine Performance, die nicht nur im Motiv des Bootes Kandinskys Sehnsucht und Suche nach der neuen Kunst für die neue Welt aufgriff. Die Schülerinnen verflochten in die Weite der Kandinskyschen See auf dramatische Weise auch die ganz reale und aktuelle Vielgesichtigkeit des Meeres: Oft ist es für Bootflüchtlinge nur eine einzige Welle, die diesen blauen Weg der Hoffnung verwandelt – in eine Todesfalle.

Wie man Träume „wahr“ macht erfuhren die Gäste dagegen von einem anderen Künstler: Joan Miró alias Saskia Keller ließ uns mit Hilfe von Sprecherin Rena Bähr an seinem Schaffensprozess teilhaben. Ob Hunger induzierte Halluzinationen der beste Tipp für aufstrebende Künstler ist, sei einmal dahingestellt. Durch die Performance der Klasse 2BSKP2/2 live mitzuerleben, wie das Bild „Flêche transpercant fumée“ 1926 in seinem Pariser Atelier entstand, war jedoch ohne Zweifel ein ergreifender Moment. Doch wie sollen Worte beschreiben, was in einem Traum passiert, dessen Inhalt in einem Bild erscheint, das ein Paradebeispiel des Surrealismus ist? Am besten gar nicht.

Am besten bestaunt man selbst, was die Schülerinnen und Schüler unter der engagierten Anleitung von Christine Kluge und Iris Steinmann in mühevoller Arbeit über viele Monate hinweg geschaffen haben. Überall im Anbau kann man die Bilder und Requisiten sehen – und sich auch schon Vorfreude holen.

Denn man darf die Worte von Iris Steinmann nicht vergessen: „Wir haben die künstliche Trennung von Malerei, Musik und Tanz aufgehoben.“ In einer Zusatzaufführung wird deshalb erneut eins werden, was schon immer eins sein sollte. hrb